Fiktion und Realität

Es rauscht im Blätterwald. Die Humanisten marschieren. Das bekannte Beispiel: ein Passagierflugzeug, mit 160 Personen besetzt, rast auf ein Stadion mit 70.000 Menschen zu. Ein Kampfpilot schießt es vorher ab. Muss er wegen Mordes an 160 Leuten verurteilt werden? „Man darf niemals eine Opferzahl gegen die andere abwägen“, heißt es, „dann sei man bei der Ethik der Nazis angelangt.“ Aha. Die logische Konsequenz ist, dass wir 70.160 Menschen sterben lassen, ganz abgesehen von den Kollateralschäden rund ums Stadion, die die Opferzahl fix verdoppeln könnten. So entschied das Bundesverfassungsgericht. Eine schöne Ethik. Konstruieren wir mal ein anderes Beispiel: ein Hitlerattentäter müsste wegen Mordes verurteilt werden, selbst wenn er dadurch einen mörderischen Krieg beendet und Tausende von Juden gerettet hätte. Sorry, aber das klingt mir eher nach Nazi-Justiz. Zurück zum gebeutelten Kampfpiloten. Schießt er nicht, wird er sich lebenslang vorwerfen den Tod von über 70.000 Menschen mitverantwortet zu haben - ein Schicksal als Alkoholiker oder Selbstmörder würde nicht überraschen. Am allermeisten frustriert mich jedoch, dass diese Ethik des unantastbaren Lebens gerade von denen vertreten wird, die das millionenfache Töten von ungeborenem Leben vorangetrieben und ermöglicht haben. Da, auf einmal, haben sie eine Abwägung ermöglicht. Wenn man ungeborenes Leben bereits als Leben betrachtet, geschieht dort dieses Abwägen. Tag für Tag, praktisch, nicht theoretisch. Und das finde ich grausam.
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