Nebelkerzen

Das Beispiel von gestern verfolgt mich, beschäftigt mich, treibt mich um. Natürlich kann man nicht einfach so 160 Menschen dem Tode preisgeben. Insofern hat die Argumentation der Juristen durchaus etwas für sich. Aber sie haben, wie erfahrene Strafverteidiger das gern tun, das Thema geschickt auf ein Nebengleis umgeleitet. Es geht hier eben nicht darum, einer Gruppe mehr Lebensrecht einzuräumen. Nein, es geht hier um die Frage, ob der unausweichliche, unvermeidbare, unabwendbare Tod von 160 Menschen um ein paar Minuten nach vorne verschoben werden darf, um 70.000 Menschen zu retten. Das ist die Crux! Es gibt hier zwei Gruppen, eine die in jedem Fall dem Tod geweiht ist und eine, die noch gerettet werden könnte. Außerdem konstruieren die Juristen - quasi als "Brücke" zu ihrem veränderten Sachverhalt - noch für die "Verlorenen" schnell die mehr als theoretische Annahme, es könnte den Fluggästen eventuell in diesen wenigen letzten Minuten: erstens gelingen die Terroristen zu überwältigen, zweitens einen flugerfahrenen Piloten aufzutreiben und drittens die Maschine wieder mit dem nötigen Auftrieb nach oben zu ziehen. Also ein Hauptgewinn bei drei unterschiedlichen Lottoziehungen gleichzeitig. Dennoch hat jede Entscheidung einen äußerst bitteren Nachgeschmack: Wird das Flugzeug abgeschossen tötet der Verantwortliche 160 Menschen, wird das Flugzeug nicht abgeschossen sterben die 160 Menschen und 70.000 (und mehr) weitere. Juristisch mag die Sache klar sein, ethisch vertretbar scheint beides nicht zu sein. Und Juristen sind nun gerade nicht die Berufsgruppe, die sich in der Geschichte besonders qualifiziert hätte ethische Maßstäbe zu setzen. Ganz sicher nicht.
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