Engpass

Jetzt hockt er da. Kurz und dafür dick blockiert er den Zugang zum Wohnzimmer zu 80 Prozent. Das berührungslose Vorbeischleichen will gelernt sein. Wir üben schon kräftig, wenn morgen die Kerzen brennen, echte Kerzen natürlich, muss man ihn explizit vorsichtig passieren. Unser erster Tannenbaum nach Jahren hat sich mächtig herausgeputzt. Eigentlich haben wir ihn ja herausgeputzt. Genau genommen habe ich die Kerzen und eine Kugel platziert und den Rest hat meine ehrenamtliche Deko-Expertin arrangiert. Den gängigen Trends zuwider trägt der diesjährige schmucke Kurze wieder Lametta. Zwar in roter Farbgebung und in Einzelhängung nicht in der früher üblichen Pulkbildung, aber immerhin Lametta. Ja, okay, früher war mehr Lametta. Ich liebe diese schmalen Streifen, die der Kerzenwind erzittern und das Raumklima leicht flattern lässt. Heute kann ich noch trauern: im kindlichen Baumalter von zehn Jahren brutal von den eigenen Wurzeln getrennt, in ein enges Korsett gezwängt, kilometerweit transportiert, zum Zentimeterpreis verhökert, in ein überheiztes Zimmer verfrachtet und mit unnatürlichem Flitter behängt. Der Arme. Ab morgen wird er dann ein bis zwei Wochen lang bewundert, sieht in freundliche Gesichter, erstrahlt im Kerzenglanz und steht im absoluten Blickpunkt - und dass obwohl er nicht Mittelpunkt des Festes ist. Fröhliche Weihnachten.
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