Habe die Ehre

Heute gibt es einen äußerst hörenswerten Vortrag über die sehr abweichenden Ehr- und Würdebegriffe im Orient und Okzident. Interessant festzustellen, dass die Unterschiede mehr kulturell als religiös begründet sind. Orthodoxe Christen aus dem vorderasiatischen Raum und die dort ansässigen Muslime teilen vielfach ähnliche Auffassungen. Beide sind schockiert, wenn sie durch Flucht und Vertreibung bei uns landen und mit den unsrigen konfrontiert werden. Wir trennen Würde und Ehre. "Die Würde des Menschen ist unantastbar", ist das Credo des Grundgesetzes, unserer Verfassung. Damit gilt die Würde des Menschen jedermann, gleich ob arm oder reich ob Wohltäter oder Verbrecher. Mag sein, dass der eine oder andere seine Würde durch seine Taten "verdunkelt", dennoch ist sie unverlierbar. Letztlich gründet das in der christlichen Auffassung, dass der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde. Jeder Mensch, egal was er dann aus seinem Menschsein macht. Die Ehre dagegen muss erworben und durch eigenes Handeln bestätigt werden. Im Orient ist Ehre und Würde miteinander verwoben. Selbst die orthodoxen Christen gestehen zwar zu, dass dem Menschen von Geburt an von Gott Würde verliehen sei, sie müsse aber durch das Leben bestätigt werden und könne verlustig gehen. In der Konsequenz ist im Okzident ein offenes, klares und direktes Wort möglich und üblich, während im orientalischen Denken so etwas einer Beleidigung gleich kommt, die den Angesprochenen zutiefst in seiner Würde herabsetzt - um nur ein Beispiel zu nennen. Die orientalische Mentalität hat sich mir ein wenig mehr geöffnet. Dennoch und gerade deshalb gilt es: wer sich in einen anderen Kulturkreis begibt - aus welchem Grund auch immer - muss sich diesem Kulturkreis anpassen. Er kann nicht erwarten, dass dieser Kulturkreis seine Denkschemata übernimmt. Eine gegenseitige Rücksichtnahme auf die unterschiedlich gelagerten "Befindlichkeiten" wäre natürlich ein feiner Zug. Sie ist aber - rund um die Welt - keine Selbstverständlichkeit. Leider.
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